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Soziales, kulturelles und politisches Engagement im Stadtteil Vauban


DAS QUARTIER VAUBAN

Quartier Vauban – Eine kleine Stadtteilgeschichte

Bis 1937 war das Gelände am südlichen Stadtrand von Freiburg am Eingang des Hexentals weitgehend unbebaut. Danach wurde es Militärareal: es entstand die „Schlageterkaserne“, die 1945 von der französische Armee übernommen und nach dem französischen Marschall und Festungsbaumeister „Vauban“ umbenannt wurde.

Nach Abzug der französischen Truppen 1992 beschloss der Freiburger Gemeinderat hier einen neuen Stadtteil zu bauen. Für 40 Mio. DM kaufte die Stadt Freiburg 34 ha des Geländes. Die restlichen vier Hektar wurden dem Studentenwerk und der „Selbstbestimmten Unabhängigen Siedlungsinitiative“ S.U.S.I. überlassen, die insgesamt 10 Kasernengebäude zu günstigem Wohnraum umbauten.

1993 entwickelten engagierte Menschen um die Vordenker André Heuss und Matthias-Martin Lübcke die Vision eines ökologischen Stadtteiles mit einem autoreduzierten Verkehrskonzept auf dem Vaubangelände. Der Siegerentwurf des städtebaulichen Ideenwettbewerbs schrieb die heutige Straßenführung und damit eine überwiegende Ost-West-Ausrichtung der zu errichtenden Gebäude fest und bildete die Grundlage für den Bebauungsplan, der 1997 rechtskräftig wurde.

Der Verein Forum Vauban e.V. – 1994 gegründet und von der Stadt als Träger einer „erweiterten Bürgerbeteiligung“ anerkannt – erreichte die Umsetzung eines ökologischen Stadtteilkonzeptes. Dazu gehörte das autoreduzierte Verkehrskonzept, eine innovative dezentrale Wärmeversorgung, das Prinzip des Stadtteils der kurzen Wege zwischen Wohnen und Arbeiten sowie der Vorrang von privaten Baugruppen und genossenschaftlichen Selbsthilfe-Projekten vor Bauträgern und Investoren.

In der Zeit vor der baulichen Erschließung wurde das Gelände von alternativen Wagenburgen genutzt. 1997 wurden die ersten Grundstücke verkauft, und eine rege Bautätigkeit begann. 1999 wurde mit der Vermarktung des zweiten Bauabschnitts im Westen begonnen, 2002 stand die Umsetzung des dritten Bauabschnittes im Norden an. Die meisten verbliebenen Kasernengebäude wurden leider abgerissen, anstatt sie als günstigen Wohn- und Gewerberaum zu nutzen.

Doch es gibt zwei Ausnahmen: 2003 baute die „Dienstleitungs-Initiative Vauban“ (DIVA) ein Gebäude an der Lise-Meitner-Straße um. Und zwischen 2001 und 2007 wurde das „Haus 037“ mit viel bürgerlichem Engagement und Eigenleistung zum selbstverwalteten Stadtteilzentrum ausgebaut. Die Fläche davor konnte erhalten und 2007 als „Alfred-Döblin-Platz“ eingeweiht werden. Der 2005 als Nachfolger des insolventen Forum Vaubans gegründete „Stadtteilverein Vauban e.V.“ ist derweil von der Stadtverwaltung offiziell als Bürgerverein registriert.

Ein weiterer Meilenstein war die Eröffnung der Stadtbahnlinie 3 ins Vauban im Jahr 2006. Zudem erhielt das bisher formell zu Freiburg-St. Georgen gehörende Vauban endlich den Status eines eigenen Stadtteils. Ein Zankapfel zwischen Stadt und Quartier war die Gestaltung des lange brachliegenden Eckgrundstücks Vaubanallee/Merzhauserstraße, das 2009 bis 2011 von einem Wagenplatz-Kollektiv besetzt und schließlich spektakulär geräumt wurde. Hier entstanden zwei große Baukörper, darunter ein integratives Hotel in gemeinnütziger Trägerschaft, das Mitte 2013 eröffnet wurde. Im selben Jahr setzte die Vollendung des inklusiven Wohnprojekts „Vaubanaise“ einen neuen Akzent. Seit der Bebauung der nordöstlichen Ecke Wiesental-/Merzhauser-Straße im Jahr 2016 sind praktisch alle Grundstücke im Quartier bebaut.

Vauban heute – wie Visionen von der Gründungszeit das Quartier prägen

Nun ist der Stadtteil bereits etwa 20 Jahre alt und befindet sich wie jedes Quartier im ständigen Wandel. Was den Stadtteil prägt sind die einzigartigen Erfahrungen, die sowohl die Bewohner*innen als auch die zahlreichen Wissenschaftler, Touristen und Experten hier gesammelt haben. Über den Stadtteil wurde viel geschrieben, er wurde bei der Expo 2010 in Schanghai unter den sechzig lebenswerten Quartieren weltweit präsentiert. Man könnte ohne Übertreibung sagen, dass ein einzigartiges soziales und architektonisches Experiment auf dem Vaubangelände zukunftsweisend für viele war und viele Menschen weltweit inspiriert hat.

Viele städtebauliche und ökologische Visionen der damaligen Initiatoren des Stadtteils sind Wirklichkeit geworden. Alle Häuser sind mindestens im damaligen Niedrigenergiestandard errichtet, und es gibt einen großen Anteil an Passiv- und Plusenergiehäusern, wie z.B. die „Kleehäuser“. Die Energieversorgung des Quartiers ist mit seiner dezentralen Nahwärmeversorgung über ein Holz- und Gas-Blockheizkraftwerk nach wie vor recht innovativ, dazu kommen noch zahlreiche Photovoltaikanlagen.

Auch das Konzept des autoreduzierten Stadtteils hat sich bewährt: es gibt in Vauban erheblich weniger Autos als in anderen Vierteln, und stellplatzfreies Wohnen erfährt besonders im 1. und 2. Bauabschnitt nach wie vor eine hohe Akzeptanz. Zahlreiche an den Werten des Quartiers orientierte Geschäfte haben sich niedergelassen – vom genossenschaftlich betriebenen „Quartiersladen“ über Secondhandläden wie „Fair Jeans“ bis hin zur Fahrradwerkstatt „RADieschen“ oder gastronomische Initiativen mit frischgekochten authentischen Speisen wie „Kantine“ und „S.U.S.I.-Café“. Es sind mehrere Gebäude mit Gewerbe- und Dienstleistungen sowie kulturellen Angeboten entstanden, darunter die einzigartigen Projekte „Villaban“ und „Haus DIVA“. Im Stadtteilzentrum „Haus 037“ finden nicht nur regelmäßig kulturelle Veranstaltungen statt, sondern es bietet Räume für Bewegung, zwei Kitas, Familienzentrum, Jugendzentrum, Büros und vieles mehr.

Es sind herausragende soziale Projekte entstanden, wie der Kinderabenteuerhof e.V. als Pionier der inklusiven Arbeit im Stadtteil, der Gemeinschaftsgarten WandelGarten, der Inklusive und interkultureller Garten und der Verein Konstruktive Konfliktbearbeitung. In Vauban ist eine zu 100% konsequent ökumenische Kirche entstanden, die ebenso ein Ausnahmebeispiel in der Stadt Freiburg darstellt.

„Last but not least“ – der Mittwochsmarkt Vauban ist ein beliebter Treffpunkt für viele Bewohner*innen, der immer wieder mit einzigartigen Angeboten überrascht.

Ein Blick in die Zukunft – Herausforderungen und Schattenthemen

„Es ist kein Paradies hier, aber ich wohne hier sehr gerne!“, sagte einmal ein Bewohner im Interview der Quartiersarbeit. Bei allen Vorteilen und Vorzügen, bei allen Stärken ist Vauban natürlich kein Paradies. Schließlich, wie überall sonst, wohnen hier einfach nur Menschen – mit allen dazu gehörigen Ecken und Kanten.

Es konnten leider auch nicht alle Visionen umgesetzt werden. Aus politischen und ökonomischen Gründen wurde manches abgelehnt, beispielsweise ein von den Bewohner*innen gefordertes offenes Areal der flexiblen Zwischennutzung, das auch für zukünftige Bedürfnisse, z.B. aufgrund eines demographischen Wandels, angedacht war. Das Ergebnis ist, dass auf dem Vaubangelände keine Fläche mehr zur Verfügung steht, die für die heute sehr angefragten alternativen Wohnformen im Alter genutzt werden könnte.

Einige Wohnungen wurden so konzipiert, dass sie mit der Zeit geteilt werden könnten, wenn die familiäre Situation sich ändern würde. Dennoch mussten während der letzten Planungsphase einige Teilnehmer der Bauprojekte aussteigen, weil sie die Finanzierung nicht bekamen, obwohl sie hinter diesem Konzept standen. Neue Mitglieder der Baugruppe unterstützten das Konzept nicht mehr. Die Wohnungsteilung war angestrebt, durchdacht und angelegt, aber nicht konsequent umgesetzt. Auch der Aufzug konnte aus finanziellen Gründen bei einigen Häusern nicht eingebaut werden.

Langsam kommt der Stadtteil allerdings in die Phase, wo viele Familien älter geworden und die Kinder ausgezogen sind. Die ehemaligen Familienwohnungen werden zu groß für Ein- bis Zweipersonenhaushalte, und vielen Bewohner*innen ist durchaus bewusst, dass dies nicht wirklich nachhaltig und gesellschaftlich sinnvoll ist. Doch eine realistische Lösung für dieses Problem gibt es nicht.

Eine weitere Schattenseite des Stadtteiles ist die Gentrifizierung: die Sozialbindung der Wohnungen ist nach und nach entfallen. Viele Menschen mussten den Stadtteil verlassen, weil sie die Mieten nicht mehr zahlen konnten.

Das Quartier Vauban durchläuft den Prozess der Transformationen der Generationen. Zum Beispiel verfügt die Gründergeneration in Vauban über eine spezifische Erfahrungsebene der Bürgerbeteiligung und der politischen Lobbyarbeit. Ob und wie diese Erfahrungen an jüngere Generationen weitergegeben werden kann, bleibt offen.

Die traurige Geschichte der künstlerischen und kulturellen Siedlung „Wagenburg Rhino“ hinterließ ebenso ihre Spuren auf dem sozialen Gefüge des Stadtteiles. Das Aushalten der unterschiedlichen Vorstellungen über das Zusammenleben und darüber, was unter dem Begriff der Toleranz alles verstanden werden kann ist eine Herausforderung für viele Bewohner*innen.

Mit dem Zuzug neuer Bewohner*innen werden die Werte des Quartiers nicht automatisch an diese transferiert und daher nicht unbedingt geteilt. Manchen ist das Miteinander im Quartier zu dicht und die Bebauung zu eng – besonders im Sommer fühlen sich manche wir auf dem Campingplatz.

Also, wo liegen die Chancen und wo sind die Grenzen beim „Lernen von Vauban“?

Im populärwissenschaftlichen Buch „Stadt der Zukunft“ (Friedrich von Borries / Benjamin Kasten) werden Vektoren der zukunftsfähigen Städte aufgezeigt, die viele Überschneidungen mit dem Quartier Vauban vorweisen: dichte Bebauung, Stadtteil der kurzen Wege, Präsenz der Wohn- und Baugruppen mit innovativen Energie- und Architekturlösungen, Häuser mit Gemeinschaftsräumen, Bürgerbeteiligung bei der Planung, das Verkehrskonzept etc..

Das sind alles Erfahrungen, die sehr wertvoll für jeden heute neu gebauten Stadtteil sind.

Dennoch verwandeln sich die Kinder von gestern in Jugendliche, für die es im Stadtteil zu wenig Infrastruktur und Angebote gibt; die Zahl der älteren und Pflegebedürftigen Menschen steigt, für die ebenso im Stadtteil keine wirklich funktionierende und zukunftsweisende Lösung besteht. Diese Herausforderungen, die jeder neugebaute Stadtteil durchläuft, bleiben auch dem Stadtteil Vauban nicht erspart. Hier liegen Grenzen der Übertragbarkeit der Erfahrungen aus Vauban auf andere Stadtteile, denn auch hier sind diese „Baustellen“ noch nicht gelöst.